Reise

Okinawa, das Mallorca der Japaner

Alternative Reiseziele (1): Die beliebteste Insel der Deutschen ist Mallorca. Doch das Pazifik-Eiland hat viele Vorzüge

Von Sönke Krüger

Können sechs Millionen Japaner irren? So viele machen Jahr für Jahr Urlaub auf Okinawa, weshalb die Insel im Ruf steht, das japanische Mallorca zu sein. Ein Massenziel sind beide Inseln, zweifelsohne. Doch im direkten Vergleich schneidet das Pazifik-Eiland besser ab als sein mediterraner Konkurrent, der 2007 auf zehn Millionen Besucher kam. Okinawa hat das wärmere Klima, man trinkt Sake statt Sangria, die Strände sind palmengesäumt und viel leerer, und statt Touristentränken auf Ballermann-Niveau gibt es hier Unesco-Weltkulturerbe.

Vor diesem Hintergrund wirkt es auf den ersten Blick erstaunlich, dass Japans beliebteste Ferieninsel hierzulande nahezu unbekannt ist. Erst auf den zweiten Blick, nämlich den in die Statistik, erschließt sich das Geheimnis, das Okinawa hierzulande zum Geheimtipp macht: 98 Prozent der Gäste sind Japaner. Doch das soll nun anders werden: Ab 2008 bieten gleich mehrere deutsche Reiseveranstalter Okinawa als neues Reiseziel an, zu buchen jeweils als Anschlussprogramm an eine Reise etwa nach Tokio oder Kyoto. Individuell kann man natürlich auch auf die Insel reisen.

Okinawa liegt weit südlich, auf einer Höhe mit Florida und Hawaii, deshalb ist es – wie Mallorca – ein Ganzjahresziel. Allerdings mit dem Unterschied, dass das Wetter hier wärmer ist: Die Jahresdurchschnittstemperatur betrug 2007 auf der Pazifik-Insel 23,8 Grad, auf dem Mittelmeer-Eiland dagegen nur 17,2 Grad. Und während es auf Mallorca sechs Frosttage gab, gab es auf Okinawa keinen einzigen.

Im Norden liegt das Dorf Ogimi, malerisch zwischen Meer und Bergen gelegen. Es ist rund um den Globus der Ort, an dem die meisten ältesten gesunden Menschen leben. 450 der 3500 Bewohner sind älter als 80 Jahre, ein Dutzend ist über 100, das ist Weltrekord. Die Mutter des Besitzers des örtlichen Krämerladens hat zum Beispiel bis zu ihrem 103. Lebensjahr täglich im Geschäft gearbeitet. Seitdem trete sie kürzer, sagt sie, aber trotz ihrer 106 Jahre gehe sie weiterhin jeden Tag aufs Feld.

In der Nahrung liegt das Geheimnis des langen Lebens: Man isst in Ogimi maßvoll und gesund, wenig Fleisch und Salz, viel Obst und Gemüse aus dem Garten, Algen und Seetang aus dem Meer. „Die hiesige Bittergurke Goya und hin und wieder ein Gläschen Sake sind auch gut“, sagt Matsu Taida. Sie muss es wissen: Sie ist 99 Jahre alt und bereitet gerade die Feier für ihren 100. Geburtstag vor.

Drei Häuser weiter betreibt die 59-jährige Emiko Kinjo das Restaurant „Emi no Mise“, ein kleines Lokal mit sieben Tischen. Sie kocht nach überlieferten Rezepten, bei ihr kommen nur Bioprodukte aus der Region auf den Tisch. Zum Beispiel Goya-Tofu-Eintopf oder in Rohrzucker und Limette gedünstetes Schweinefleisch. „Dank dieser Zubereitung hat es 40 Prozent weniger Cholesterin als üblich“, sagt sie. Obendrein schmeckt es vorzüglich.

In Japan ist Frau Kinjo inzwischen eine Berühmtheit, sie war schon im Fernsehen und schreibt an ihrem dritten Ernährungsbuch. „Ich habe noch so viele Ideen für weitere Bücher, dass ich mindestens 100 Jahre alt werden muss!“

Weniger gesund ernährt man sich in Zentral-Okinawa, wo es ebenso viele McDonald’s-Filialen gibt wie auf Mallorca. Das hat historische Gründe: 1945 tobte auf Okinawa die letzte große Schlacht des Zweiten Weltkriegs, die die Amerikaner gewannen. Die strategisch wichtige Insel blieb bis 1972 besetzt, die US-Armee ist bis heute mit 30 000 Mann vor Ort. Ihnen sind die vielen Fast-Food-Restaurants geschuldet.

Die Orte um die Militärbasen, etwa Kadena und Mihama, sehen längst aus wie US-Städte – mit amerikanischen Supermärkten, mit Graffiti (völlig untypisch für Japan) und mit Klubs, die „L.A.“ oder „Chicago“ heißen. Für japanische Urlauber ist dieses Stück Westen in Fernost so spannend, dass es längst zu einer lokalen Touristenattraktion aufgestiegen ist. Und Mallorca? Ein Chinatown oder ein japanisches Viertel sucht man dort vergebens.

1945 wurde der Inselsüden buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht. In der Hauptstadt Naha blieb kein Stein auf dem anderen, was wiederum erklärt, warum es hier ähnlich viele Betonklötze gibt wie auf Mallorca, obwohl dort keine Weltkriegsschlacht tobte. Spannend ist Naha trotz seiner schlichten Architektur, vor allem im Zentrum, wo sich die Japaner in Souvenirshops, Restaurants und Karaoke-Bars dem Urlaubsfrohsinn hingeben.

Hauptattraktion der Hauptstadt ist Shuri-jo, das Königsschloss, ursprünglich im 13. Jahrhundert erbaut. Das einzigartige Ensemble aus hölzernen Palästen und steinernen Wehrmauern wurde im Krieg zwar zerstört, in den 80er-Jahren aber originalgetreu aufgebaut und 1992 wiedereröffnet, seit 2000 ist es Unesco-Weltkulturerbe – ein Titel, den Mallorca nicht hat.

Bleiben die Strände. Sowohl auf Mallorca als auch auf Okinawa gibt es Dutzende davon, aber auf Okinawa sind sie viel leerer, weil die Japaner sich aus unerfindlichen Gründen nicht sonnen. So kann es passieren, dass man einen Strandabschnitt am türkisblauen Meer für sich allein hat, an dem sich am Mittelmeer Hunderte Urlauber dicht an dicht drängen würden.

Ein weiterer Pluspunkt Okinawas sind seine Hotels: Hier gibt es weniger hässliche Bettenburgen als an Mallorcas Gestaden, hier überwiegen Strand-Resorts in tropischen Gärten. Eines davon ist das „Busena Terrace Beach Resort“ an der Westküste. Unter den Gästen waren auch schon Gerhard Schröder, George W. Bush und Tony Blair. Sie stiegen hier im Juni 2000 ab, anlässlich des G-8-Gipfels. Sie ahnen es sicher schon, der Vollständigkeit halber sei hier trotzdem darauf hingewiesen: Einen G-8-Gipfel gab es auf Mallorca bis heute nicht.

ITB: Halle 26a/128

Aus der Berliner Morgenpost vom 6. März 2008